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Digitalität und Gesundheit: Digital Day 2023

Folgendes Mosaik gibt in Einblicke in die Vorträge des Digital Day 2023. Die Leitfrage war, wie sich Digitalität und Gesundheit zueinander verhalten. Krumme Rücken kommen darin nicht zur Sprache. Dafür, welche Positionen uns zu einer gesünderen Haltung gegenüber der Moderne bewegen können.  

Dr. Christian M. Schenkel lässt uns durch seine Brille einen Blick auf die Entwicklungen innerhalb der Medienlandschaft werfen.

Leitmedien (Sprache, Schrift, Buchdruck, Computer) würden soziale Systeme (Gesellschaften, Organisationen, Schulen etc.) verändern und damit angestammte Strukturen, Kulturen und Gewohnheiten. Dies, weil die Möglichkeiten des Kommunizierens erweitert würden.

Man werfe einen Blick in die Klassenzimmer und weiss sofort, was gemeint ist. Handys, Tablets und Laptops prägen seit Kurzem die Bildungslandschaft.

Nicht selten werde die Einführung eines neuen Leitmediums als «Medienkatastrophe» wahrgenommen. Skepsis, Orientierungslosigkeit und systemischer Druck würden Stress auslösen. Dieser Zustand dauere so lange an, bis sich neue Struktur- und Kulturformen herausgebildet und konsolidiert hätten. Wir befänden uns mitten in diesen Aushandlungsprozessen.

Dass mit Medienkatastrophen in der Regel Fortschritte verbunden seien, müssten wir uns erst vergegenwärtigen. Sei dereinst beispielsweise Kommunikation nur zwischen Anwesenden möglich gewesen, stelle dies seit der Einführung der Schrift kein Thema mehr dar.

Neue Leitmedien lösten immer ein spezifisches Problem sozialer Gesellschaften. Sei dies nicht der Fall, so würde das Medium wieder verschwinden. Allerdings wüssten wir oftmals während des Umbruchs nicht, welches Problem dies sei. Erst wenn man sich aus der vielzitierten «Box» herauswage, könnten wir dies erkennen.

Diese Gedanken führen zu zahlreichen Fragen.

Wie organisieren wir uns während der Jahre des Umbruchs? Und was macht das mit uns? Was macht es mit Lehrpersonen und mit Schüler:innen? Und was wollen wir überhaupt? Wie verändern sich unsere Rollen? Wann macht es Sinn, auf die neue Leitmedien zu setzen, wann nicht?

Bei der Beantwortung dieser Fragen dürften wir uns durchaus als wirkmächtige Player fühlen.

Lehre und Unterricht seien an sich schon komplexe Systeme. Durch den Einsatz digitaler Medien würde diese Komplexität noch erhöht. Es sei wichtig, zu experimentieren, gemeinsam Erfahrungen zu sammeln (Schüler:innen gemeinsam mit Lehrpersonen). Die Kultur der Digitalität werde von unten nach oben herausgebildet. Wir könnten die nächste Gesellschaft zusammen gestalten.

 

Was sich in unseren Gehirnen abspielt, wenn wir uns der Digitalität aussetzen, beleuchtet Prof. Dr. Lutz Jäncke.

Man müsse mit der Frage beginnen, was wir eigentlich seien. Biologisch betrachtet, sei die Antwort klar und einfach: Tiere. Neugierige, nach Macht strebende, das Revier verteidigende Tiere. Die die Welt erwandert, erforscht und letztlich erobert hätten. Aber auch nach Sicherheit und Zuneigung lechzende, kooperierende, zu Vertrauen fähige Wesen.

Thomas Hobbes

Die schlimmste Bedrohung des Menschen sei der Mensch selbst. Daher sei es notwendig, Vertrauen zueinander aufzubauen, die Vertrauensfähigkeit zu trainieren, miteinander zu kommunizieren – nur so könnten wir uns gegenseitig zähmen und in friedfertigen Gesellschaften miteinander leben.

Genau diese Fähigkeiten würden aber durch die neuen Leitmedien korrumpiert. Nonverbale Kommunikation leide durch die Digitalisierung, da deren Mechanismen und Medien diese zu wenig abbilden würden. Wir brauchten als Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, ohne technische Barrieren dazwischen.

Journalismus, Fernsehen, Telefonie, das Lesen, das Schreiben, das Zuhören, das Musikhören, Songlängen. Die moderne Welt habe alles verändert, was mit Kultur zu tun habe. Anzunehmen, das hätte keine Auswirkungen auf unser Gehirn, sei fatal.

Die Informationsmenge an qualitativ hochwertigen Informationen sei linear angewachsen. Aber: Die Menge an «Bullshit» hätte sich proportional entwickelt. Die schiere Menge an Nachrichten, Fake News, Filmchen, Shorts, Clips usw. überfordere unser Gehirn. Relevantes von Irrelevantem zu trennen, sei eminent wichtig, aber auch unglaublich schwierig. Gelinge dies nicht, würden wir zu Sklaven äusserer Reize.

Zu glauben, Medien-Multitasking sei möglich und führe zu guten Ergebnissen, sei schlicht falsch. Der Mensch sei nicht imstande, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu lösen. Liessen wir uns in den Strudel der modernen Medienwelt hineinziehen, verlören wir Halt. Die Folge: Das Hirn wende sich dem zu, was Aufmerksamkeit wecke, denn das verspreche Reiz.

Die ununterbrochene Zugänglichkeit zu allem, jederzeit und sofort, führe zu einer Disbalance, zu Stimmungsschwankungen, zu Depressionen. Das Potential der konstant vorhandenen Möglichkeit, Lust zu generieren, sei für uns katastrophal, denn es mache süchtig. Dies sehe man, wenn man einem Kind das Handy wegzunehmen versuche.

Das Gehirn des Menschen sie für diese neue Welt nicht geschaffen. Es entspreche dem Gehirn von Urzeitmenschen. Was auf uns einprassle, überfordere uns. Daher würden wir abgeben. Wenn wir menschliche Fähigkeiten an KI abtreten würden, stelle sich aber die Frage, was dann noch bleibe. Denn was wir nicht trainieren würden, gehe verloren.

Es sei unabdingbar, Selbstdisziplin zu trainieren. Gehe diese Fähigkeit verlustiert, verlören wir auch die Fähigkeit, uns in der modernen Welt zu organisieren und zu orientieren.

Wir brauchten Ziele, Aufgaben. Das Digitale sei das Instrument, nicht der Zweck an sich.

 

Axel Krommer begegnet der «Medienkatastrophe» mit all ihren Verwerfungen entspannter.

Die neuen Leitmedien hätten bei Weitem nicht nur zerstörerische Kraft. Die Befürchtung Platons angesichts der Durchsetzung der Schriftkultur, Aufschreiben und damit Auslagern mache vergesslich, könne zwar durchaus zutreffen, doch es gebe angesichts der Fülle an Information und Wissen gar keine Alternative dazu.

Natürlich sei Aufgeschriebenes nicht automatisch Verstandenes. Dazu bedarf es einer Reflexionsleistung. Dies stelle aber die Medien nicht in Frage. Im Gegenteil: Dank der Medien könne Wissen erst erhalten bleiben und weitergegeben werden.

Krommer zeigt an zahlreichen Beispielen auf, dass sich mit der Etablierung neuer Kommunikationsformen die Haltungen ihnen gegenüber verändert haben.

Bücher galten einst als Suchtmittel, vertieftes Lesen als isolierende Sucht, Comics als die Jugend zersetzendes Teufelswerk, Kinos als Brutstätten künftiger Krimineller.

Krommer plädiert dafür, unseren Gehirnen mehr zuzutrauen. Wir seien nicht einfach nur blosse, manipulierbare Verfügungsmasse, wir könnten uns durchaus in der medialen Welt zurechtfinden. Die neurophysiologische Perspektive unter Ausklammerung des kulturellen Rahmens, in welchem wir uns bewegen, sei einseitig und bilde die unsere Lebenswelt nicht ab. Wir sollten uns nicht als potentielle Sklaven und Mediensüchtige betrachten, sondern als lernfähige Wesen, die durchaus imstande seien, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen.

Was früher negativ ausgelegt wurde («Lesesucht!»), sei heute geradezu Wunschgedanke. Dies könne auch für neuere Phänomene gelten. Wenn wir mit den neuen Medien umzugehen lernten, seien diese eine Bereicherung. Man müsse dazu neue Dimensionen denken, das Flächenland des Analogen verlassen und das Raumland des Digitalen betreten, in welchem es neue Formen des Sprechens, Lesens, Schreibens und Denkens gebe.

Quelle: Dimensionen der Bildung. Oder: vom Flächenland der Buchkultur ins Raumland der Digitalität | Bildung unter Bedingungen der Digitalität (axelkrommer.com), Zugriff: 15.09.2023

 

 

 

 

 

Lernen funktioniere schlicht nicht nur analog. Und das Virtuelle abzuwerten, sei zwar bequem, aber nicht angemessen. Face-to-Face-Kommunikation sei sicher eine edle Form. Aber es sei nicht die einzige. Wer würde heute noch der Telefonie ihren Sinn absprechen?

Unsere Welt bestehe aus Virtualitäten und Vorstellungswelten (man denke an das Konzept «Geld»). Im biologischen Sinne seien wir Tiere, doch was uns von den meisten animalischen Verwandten unterscheide, sei die Fähigkeit, Phantasiewelten und virtuelle Realität zu imaginieren.

Wir lebten längst in einer Welt, in welcher Digitalität zum Hintergrund von Realität und Alltag geworden seien. Online und offline liessen sich kaum mehr voneinander trennen. Sich dieser Realität zu entziehen, sei nicht möglich. Sich mit ihr anzufreunden sehr wohl.

 

Wenn alle recht haben, hilft nur noch Musik 😊https://www.youtube.com/watch?v=4JkIs37a2JE

Rg

 

 

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