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Eine starke Frau mit starken Botschaften

Die Frage, wie dauerhaft ein Frieden herstellbar sei, ist seit jeher eine eminent wichtige. Frankreichs Außenminister Robert Schuman schlägt am 9. Mai 1950 vor, eine Produktionsgemeinschaft für Kohle und Stahl zu schaffen. Damit wird der Grundstein für die Europäische Union gelegt, deren Ziel es ist, nach der schrecklichen Erfahrung zweier Weltkriege ein friedliches Miteinander auf unserem Kontinent zu organisieren. Aufgrund der aktuellen Situation, die uns das Unvorstellbare wieder ganz nah vor Augen führt, ist der Europatag, der an jene Rede von Schumann erinnert, aktueller denn je. Anlässlich dieses Tages besucht uns Hedda Samson, die Botschafterin des Königreichs der Niederlande.

Hedda Samson gibt uns in den neuen Räumlichkeiten unserer Mediothek Einblicke in ihre Tätigkeit. Der normale Alltag einer Botschafterin lebe von Abwechslung. Kein Tag sei wie der andere. Zum Beispiel besuche sie Veranstaltungen wie die unsrige oder solche wie den World Press Freedom Day. Und natürlich müsse sie sich entsprechend auf diese Events vorbereiten und zuvor an Reden feilen. Zu ihren Aufgaben gehöre es, Berichte zu verfassen über die Lage in der Schweiz, Einschätzungen vorzunehmen, zum Beispiel zur Frontex-Abstimmung. Diese reports würden dann der Regierung in den Niederlanden weitergeleitet, sodass diese sich ein Bild über die Lage in der Schweiz machen könne. Ganz wichtig sei es, Verbindungen zu schaffen zwischen niederländischen und schweizerischen Unternehmen. Die sogenannte Economic Diplomacy mache einen grossen Teil ihrer Arbeit aus. Als die Verhandlungen zwischen den Häfen von Rotterdam und Basel stattgefunden hätten, sei die Botschafterin mit an Bord gewesen. Schliesslich stelle der Rhein eine wichtige Verbindung zwischen den beiden Ländern dar. Zudem begleite sie gesellschaftliche Themen wie die LGBTQ-Bewegung. Oder sie besuche zwischendurch niederländische Sträflinge, die in Schweizer Gefängnissen Unterschlupf gefunden hätten …

Corona habe natürlich auch ihr Berufsleben durchgeschüttelt. Die Weisung, zuhause zu bleiben (neudeutsch: Home Office), galt auch für Botschafterinnen. Die Amtszeit von Hedda Samson sei gezeichnet gewesen von der Pandemie und deren Begleiterscheinungen. Natürlich habe ihr Arbeitsalltag darunter gelitten, da eine Botschafterin, wie es die Berufsbezeichnung nahelegt, in Kontakt mit den Menschen treten soll. Dies sei mit den Einschränkungen sehr schwierig gewesen. Trotzdem habe sie sich nicht unterkriegen lassen. Ganz im Gegenteil.

Hedda Samson berichtet von zahlreichen unglaublich wichtigen Themen, die aktuell auf der Agenda der EU stehen, darunter natürlich der momentan sehr präsente Krieg in der Ukraine. Wie schaffen wir es, unsere Abhängigkeit von russischen Rohstoffen zu reduzieren? Wie gelingt es, zwischen dem westlich orientierten Europa und Russland einen friedvollen Umgang miteinander zu finden? Und natürlich, so führt sie aus, gebe es weitere wichtige Bereiche, in welchen die EU vorwärts machen müsse. Eine Stabilisierung nach der Covid-Krise stehe dabei im Vordergrund. Und zwar unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Energiewende, um eine grünere, nachhaltigere und zukunftsorientierte Wirtschaft zu schaffen.

Die Botschafterin gibt während ihrer Präsentation zudem Einblicke in die Haltung der Niederlande gegenüber der EU. Auch in den Niederlanden sei man kritisch eingestellt gegenüber der EU, ähnlich wie in der Schweiz. Weniger innereuropäische Schranken würden aber mehr Chancen für den Handel bieten, und dieser ermögliche letztendlich Wohlstand. Daneben sei das Thema Sicherheit und Migration auch für die niederländische Bevölkerung sehr bedeutsam.

Die Niederlande hätten einen pragmatischen Umgang mit der EU. Nicht alles werde goutiert, aber die Einsicht, dass man die grossen Themen nur gemeinsam bewältigen könne, sei vorherrschend. Insgesamt hätten die Niederländerinnen und Niederländer den Eindruck, dass die EU ihrem Land nütze. Natürlich sei auch sie selbst davon überzeugt, denn sie könne Einfluss nehmen, sie könne mitgestalten und neue Dinge anstossen. Sie könne aber auch nachvollziehen, dass die EU-Verwaltung als Moloch wahrgenommen werde. Schliesslich sei diese sehr gross und anonym. Jedoch erforderten die riesigen Herausforderungen entsprechende Manpower. Hedda Samson ist der Ansicht, dass das System der EU grundsätzlich funktioniere, es sei gut. Aber es könne noch besser sein. Die EU müsse nahbarer werden, eine Nähe herstellen zu den europäischen Bürgerinnen und Bürgern. Hier könnten die EU bzw. die Niederlande von der Schweiz lernen. Auch was die Qualität angehe. Die Prozesse in der Schweiz würden zwar langsamer laufen. Aber wenn die Zeit reif sei, werde gute Qualität abgeliefert. Es lohne sich also, sich Zeit zu nehmen.

Auf die Frage, wie sie mit dem Privileg der Immunität umgehe, antwortet die Botschafterin, letztendlich müssten zum Beispiel Bussen von den Fehlbaren selbst bezahlt werden, dies gelte auch für Angestellte der Botschaft, denn die Regierung übernehme diese Kosten nicht. Die Immunität habe nicht das Ziel, Botschafter vor Bussgeldern zu bewahren. Die Immunität sei notwendig, damit die Botschafter rund um die Welt ihren Job machen könnten, was ausserhalb von Europa nicht überall eine Selbstverständlichkeit sei.

Natürlich darf eine Frage zum niederländischen Umgang mit soft drugs nicht fehlen. Die Niederlande sind schliesslich bekannt für ihre tolerantere Drogenpolitik. Nach Ansicht der Botschafterin funktioniere dieser Ansatz sehr gut. Die Möglichkeit, ohne Strafandrohung Marihuana konsumieren zu dürfen, halte viele davon ab, in Drogenkriminalität verwickelt zu sein. Ein unschöner Nebeneffekt seien die Coffeeshop-Touristen, die deswegen in die Niederlande strömen würden.

Hedda Samson sei froh gewesen, als man ihr das Amt der Botschafterin in der Schweiz angeboten habe. Schliesslich habe sie familiäre Verbindungen in die Schweiz. Das wiederkehrende Umziehen nach ein paar Jahren sei aber natürlich ein Problem für die Familie. Im nächsten Jahr müsse sie zurückkehren, da nach zehn Jahren eine «Repatriierung» stattfinden müsse, um sich dem Land, das man repräsentiere, nicht zu entfremden.

Der Besuch von Hedda Samson war sehr erfrischend und lehrreich. Eine starke Frau mit starken Botschaften hat uns beehrt.

Rg

 

 

 

 

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